Miniaturen oder Kopfkino?

 Ein junger grüner Drache, bereit zum Angriff © Sandra Scholz

Meine Gruppe sitzt nach vorne gebeugt am Tisch. "Wir nähern uns dem Turm" erklärt der Kämpfer, nachdem er sich via Blickkontakt bei den anderen versichert hat, dass alle mitkommen. Die Lage ist angespannt, denn die Gruppe weiss: Am Fusse des Turm liegen Knochen, Nebel liegt über dem Boden und wabert aus dem angrenzenden Wald. Es ist still. Ungewöhnlich still sogar, man hört keinen einzigen Vogel zwitschern. Doch was ist das? Das rauschen des Windes wird auf einmal lauter und es ist ein gewisser Rhythmus zu erkennen.

Das ist der Moment, in dem ich als Spielleiterin aus meinem versteckten Korb unter dem Tisch eine bemalte Miniatur eines jungen grünen Drachen hervorhole und auf dem Tisch platziere. Ich blicke in weit aufgerissene Augen und während ich in meiner besten Drachenstimme ein drachenmässiges Brüllen in die Runde werfe, zucken alle merklich zurück.

Miniaturen sind ein toller Weg, um aus dem reinen Kopfkino das gewisse Etwas herauszuholen. Ganz klar ist "Dungeons and Dragons" in erster Linie ein klassisches Pen&Paper Spiel. Ich persönlich finde allerdings, dass Miniaturen vor allem in den Kämpfen gleich mehrere Zwecke erfüllen.
  • Grösse ist manchmal eben doch alles
Die Miniaturen geben eine grobe Idee davon, wie gross oder klein etwas ist. Ein Zwerg ist kleiner als ein Drachenblütiger und beide wirken neben einem ausgewachsenen Drachen winzig.

  • Räumliche Vorstellungskraft
"Wie weit kann ich laufen?" "Erreicht mein Heilzauber meinen Verbündeten?" Der Einsatz von Miniaturen und einem entsprechend angepassten Raster erleichtert solche Fragen, weil Abstände auf diese Weise leicht messbar sind. Die meisten Menschen sind darüber hinaus visuell veranlagt, haben es also einfacher, wenn sie sehen, was passieren soll.

  • Der WOW!-Effekt
Seinen eigens erschaffenen Charakter, mit dem man hoffentlich lange Zeit gemeinsam verbringen wird, in den Händen halten zu können, ist ein tolles Gefühl. Gleichzeitig ist der "Oh shit!" Effekt, wenn ein Drache auf dem Tisch landet, nicht zu verachten.

  • Keine Diskussionen
"Aber ich habe hinter dem Oger gestanden!" kommt am Tisch nicht mehr vor, wenn mit Miniaturen gespielt wird. Jeder sieht jederzeit, wo alle anderen sich befinden. So bleiben Kämpfe einerseits akkurat und andererseits übersichtlich. Besonders die Taktiker am Tisch haben riesige Freude daran, ihre Miniaturen entsprechend zu manövrieren.

  • Fairness
"Immer darf das Monster mich beim Versuch, wegzulaufen, noch angreifen! Nie darf ich dem Ork eine Axt in den Rücken stecken, wenn er an mir vorbeirennt." Als Spielleitung haben wir das komplette Schlachtfeld im Kopf. Den Spielenden ergeht es anders, sie sind darauf angewiesen, eine detaillierte Beschreibung zu bekommen. Karten und Miniaturen können diesen Faktor ausbalancieren, so dass beide Seiten alle Möglichkeiten nutzen können, die zur Verfügung stehen.

  • Abwechslung ist Alles
Häufig herrscht zumindest unterschwellig eine Art Dissonanz am Tisch. Am Ende des Tages wird es immer Spielende geben, die lieber taktisch kämpfen, während andere Spieler sich vor allem auf das Rollenspiel untereinander und mit der Umgebung konzentrieren möchten. Miniaturen sind ein guter visueller Weg, um einerseits die Taktiker zufriedenzustellen und andererseits denjenigen am Tisch, die nicht so gern kämpfen, etwas zum anschauen zu geben.

  • Entspannung pur
Zu guter Letzt finde ich das Bemalen der Miniaturen herrlich entspannend. Ich verliere dabei komplett die Zeit aus den Augen und bin danach absolut tiefenentspannt. Das allein wäre schon Anreiz und Belohnung genug. Der Spass, den meine Gruppe an den bemalten Miniaturen hat, ist dann die Kirsche auf diesem Sahnehäubchen.


Wo viel Licht ist, fällt für gewöhnlich auch Schatten an. Schauen wir uns an, was gegen den Einsatz von Miniaturen spricht.

  • Der Kostenfaktor
Miniaturen von WizKids, Reaper oder HeroForge sind nicht unbedingt günstig. Wer eine kleine Armee aus Goblins und Orks aufbauen möchte, landet schnell im höheren zweistelligen bis im niedrigen dreistelligen Bereich. Wer bunte Miniaturen möchte, der braucht danach noch Pinsel und Acrylfarben.

  • Restriktive Vorstellung
Miniaturen sind in einer Pose festgesetzt. Bis wohin geht also der Flügelschlag meines jungen Drachens auf der Karte? Man muss nachmessen oder Kästchen zählen und da der Drache auf dem Tisch sich nicht bewegen kann, bleibt nach wie vor eine Menge der Vorstellungskraft in der Runde überlassen.

  • Tick Tack, die Zeit rennt
Die Miniaturen mitsamt einer Karte auf dem Tisch aufzubauen braucht Zeit. Muss man vorher noch mühsam zusammensuchen, in welcher Tüte nun die Orks stecken und wo diese verfluchten Gnolle sich versteckt haben, unterbricht man das Spiel in einem wichtigen Moment.

  • Wir brauchen ein grösseres Boot!
Ausserhalb des Spiels müssen die Miniaturen irgendwo aufbewahrt werden, dafür braucht es Platz und letztendlich auch wieder Geld, beispielsweise für Boxen. Da die Minis in den meisten Fällen dort aufbewahrt werden, wo die Spielleitung lebt, kann es darüber hinaus nervig werden, wenn Miniaturen und Terrain mit der Spielleitung zusammen verreisen müssen.

Ihr seht, es gibt eine Menge an Punkten auf beiden Seiten. Am Ende des Tages entscheidet ihr als Gruppe oder Spielleitung. Als Hobby ist das Bemalen wirklich eine entspannende Angelegenheit, bei der man am Ende sogar noch etwas in der Hand hat. Vielleicht legt ihr als Gruppe Geld zusammen, damit euer Spielleiter Miniaturen kaufen kann? Oder ihr fang mit Glassteinen und selbstgezeichneten Karten an, um auszuprobieren, ob der Einsatz von Miniaturen euch überhaupt zusagt. Es gibt kein richtig oder falsch; richtig ist, was für euch als Gruppe passt.

In späteren Beiträgen zeige ich euch, wo ihr Miniaturen von fast gratis bis Premiumsegment herbekommen oder selbst basteln könnt. Ausserdem schauen wir uns an, wie und wo man Karten zum spielen auftreiben kann.

Kommentare

  1. Mir sind Miniaturen viel zu teuer. Die Bücher kosten ja auch schon einiges. Ich versuche meinen Spielern immer andere Gegner gegenüber zustellen, das würde ja bedeuten, dass viele Figuren nur einmal zum Einsatz kommen. Es gibt auch Figuren zum Ausdrucken, die kosten wesentlich weniger, sind leichter aufzubewahren und müssen nicht bemalt werden. Ich persönlich nutze aber einfach ein paar Holzfiguren in verschiedenen Farben für die Spieler und Ü-Ei figuren als Monster. Aber meist stehen die hinter meinem Spielleiterschirm, da ich auch nie wirklich eine Karte nutze, aber ich eine grobe Positionierung für alles schon brauche.

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